Das große Kunstpotential einer kleinen Gemeinde

Aufbau eines Musikprogramms in Sittendorf/Wienerwald , Österreich
von Anne Rothgeb-Peschek


Als Musikpädagogen haben wir die die schöne Aufgabe, die wunderbare Welt der Musik jenen nahe zu bringen, die in unserer unmittelbaren Umgebung sind.

Ich habe eine Möglichkeit gefunden, in einem kleinen österreichischen Dorf, ungefähr 30 Autobahnminuten vom Zentrum Wiens entfernt. Mein Mann und ich haben ein Haus im Wienerwald gebaut und so kamen wir nach Sittendorf.

Sittendorf hat eine sehr alte Kirche, deren Fundament auf das 12. Jahrhundert zurückgeht. In der Kirche befand sich eine alte Orgel, die 1859 gebaut und ursprünglich mit einem Blasebalg händisch betätigt wurde. Später baute man ein elektrisches Gebläse ein.

Im Mai 1998 wurde eine neue Orgel errichtet. Diese baut die Firma Pécsi Orgonaépitö Manufaktúra KFT Pecs, Ungarn. Sie hat 2 Manuale, 7 Register und ein ausgebautes Pedal.

In dieser Kirche gab es keinen Chor und auch keinen fest engagierten Organisten. Ich entschied daher: In diese schöne Kirche gehört schöne Musik und so organisierte ich einen Kirchenchor!

Da ich aus den USA nach Österreich kam und in diesem Dorf eine Fremde war, fand ich es besser, einen Einheimischen zu bitten, Kontakte mit Musikinteressierten aufzunehmen. Das hat sehr gut geklappt und bald hatten wir einen kleinen Chor zusammen.

Ich muß zugeben, anfangs habe ich gesangliche Schwächen mit einigen Gesangsschülern ausgeglichen, aber später machten wir Aufführungen mit eigenen Kräften.

Ich habe gehört, daß es im Dorf eine Aula gibt, und als ich den Pfarrer bat, sie mir zu zeigen, war ich hocherfreut. Ich entschloß spontan, dort eine Konzertserie zu organisieren.

Ich lud also den Chor zu einem Nachmittagskaffee ein, um diese Möglichkeit zu diskutieren. Die Aula befindet sich in einem ehemaligen Wirtschaftsgebäude, das der Priester umbauen ließ, mit einer Holzdecke, Bühne und Sitzreihen - wie in einem kleinen Theater. Durch die Holz- und Betonausstattung war die Akustik ausgezeichnet. Der Saal weist 110 Sitzplätze sowie einen Balkon auf und schaut sehr hübsch aus. Ich hätte es selber nicht besser planen können.

Alle meine Kollegen sind begeistert, wenn sie die Aula sehen und musizieren gerne darin.

Mein Chor sang in der Adventmesse und in der Weihnachtsmette. Im Frühjahr habe ich Kulturtage organisiert.

Wir haben mit einer Messe in der Kirche angefangen, veranstaltet von einer Renaissancegruppe, die bereit war, gegen Reisekostenersatz zu spielen. Auch mein Hammerflügel-Ensemble spielte ohne Gage, um dieses Projekt zu unterstützen.

Mein Chor hatte ein Frühlingskonzert gesungen. Ich habe alle lokalen Talente herangezogen und die Kinder, die in der Musikschule studierten, sind auch aufgetreten. Wir baten um freiwillige Spenden - unsere erste finanzielle Basis war geschaffen! Ich war erschöpft, aber ein paar Tage später rief jemand an und erzählte, daß ein Artikel über unsere Konzerte in der Zeitung erschienen ist. Die Kritikerin hat gut verstanden, hat gespürt, was wir mit unseren Konzerten anstreben wollten. Die Überschrift lautete: "Das große Kunstpotential einer kleinen Gemeinde". Angespornt durch diesen Artikel und die Unterstützung der ganzen Gemeinde habe ich mich entschieden, eine Sommerkonzert-Serie zu organisieren.

Sittendorf - unser Dorf - liegt in einer Gegend, wo man schöne Spaziergänge unternehmen kann, daher entschlossen wir uns unsere Konzerte an späten Sonntag-Nachmittagen anzusetzen, sodaß die Besucher die wunderschöne Landschaft und anschließend unsere Konzerte genießen konnten.

Das Eröffnungskonzert hat ein junger, aus Südafrika stammender Tenor gesungen, der auf dem Wege zu einer Karriere ist. Er sang ein schönes Konzert mit "Dichterliebe" von Robert Schumann und zeitgenössische südafrikanische Lieder. Ich habe eine Einheimische gefragt, die zum ersten Mal einen Liederabend hörte, was sie empfand: "Es war sehr schön", hat sie gesagt.

Es gibt viele junge Musiker, die gerne auftreten möchten und die nicht so viel Geld als Gage verlangen. Und wir hatten unsere Zuhörer-Gemeinde - die Voraussetzungen waren also gegeben. Die Organisation war anstrengend und zeitraubend. Wir haben Ankündigungen unserer Sittendorfer Sommerkonzerte in Zeitungen drucken lassen, Plakate verteilt und Einladungen verschickt. Wir schrieben an Pensionistenheime, Hotels, Restaurants und andere Organisationen in der Gegend, um unsere Konzerte publik zu machen. Wir hatten keine kommerziellen Intentionen, sondern wir wollten nur Musik den Menschen nahebringen. Wir nahmen nur freiwillige Spenden.

Im Winter wurde ein Kulturverein gegründet, der zurzeit über 250 Mitglieder aufweist. Im Frühling veranstalteten wir wieder Kulturtage und manche in unserem Publikum hörten zum ersten Mal Konzerte.

Die Damen des Chors entschieden, daß sie ein "Dirndl" nähen wollten, typisch für diese Gegend. Zuerst dachten wir, es gäbe kein original "Sittendorfer Dirndl", aber eine unserer Damen fand auf ihrem Dachboden den Oberteil eines "Dirndl's", der ihrer Urgroßmutter gehörte. Es war sehr schön und eine Expertin für Volkstrachten leitete einen Nähkurs - jede Dame nähnte eine solche, in Schnitt und Ausführung komplizierte Tracht. Wir trugen sie zum ersten Mal bei einem Frühlingskonzert und die Wirkung war beeindruckend. Das gemeinsame Nähen der Dirndlkleider war auch ein erfreuliches zwischenmenschliches Ereignis.

Für die Konzerte machten die Damen des Chors Kuchen und Brötchen gegen freiwillige Spenden. Dies war auch ein beliebtes Pausengeschehen für das Publikum und förderte weitere soziale Kontakte.

1992 brachten wir unsere 5. Saison der Sittendorfer Sommerkonzerte. Vor drei Jahren hatten sich drei kleine Privatschulen in der Gegend konsolidiert. Die Schule ist jetzt Teil des Österreichischen Musikschulwerkes in Niederösterreich. Ich wurde als Gesangslehrerin an dieser Schule verplichtet. Die mehr als 380 Schüler erhalten nun Musikunterricht in ihrem eigenen Dorf statt in größere Städte zu fahren, um unterrichtet zu werden.

Es ist nicht einfach, so ein Projekt zu starten, aber es ist wichtig, die Bildungsmöglichkeiten nicht aus den Augen zu verlieren. Auch wenn das Repertoire für das Publikum neu ist, so ist es wichtig, ein gewisses Niveau nicht zu unterschreiten. Musikalische Aktivitäten florieren. Meine Motivation für die Arbeit in Sittendorf war in erster Linie, das zu geben, was ich zu geben hatte. Meine Arbeit  hat eine konkrete Form angenommen mit positiven Resultaten.

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